Ein Jahr auf Piccolina

Zeit für ein kleines Resumé.

Der Umzug aufs Boot gestaltete sich aufwändiger als gedacht. Dass wir nicht unseren ganzen Hausstand mitnehmen können war von vornherein klar, aber sich bei jedem Topf oder Kleidungsstück, Buch oder Hifizubehör, Werkzeug oder Materialien entscheiden zu müssen was mitkommt, eingelagert wird oder in die Tonne gehört, strengte wirklich an. Das war nicht einfach ein Umzug, es war die Vorbereitung auf ein anders gestaltetes Leben. Doch zuerst waren wir ja noch ein paar Monate in Lübeck, hatten ein Auto, kannten uns aus. Die Umbauten am Boot zogen sich in die Länge und wir kamen später im Jahr los als geplant.

unser Heim seit einem Jahr

Schon bei der Abfahrt saß uns die Zeit im Nacken. „Spätestens im September sollte die Überfahrt über die Biskaya erfolgen“, so die allgemeinen Segelanweisungen. Dieser Satz bohrte sich in unsere Köpfe, ob wirklich zurecht? Da wir seglerisch keine alte Hasen sind, wollten wir uns daran halten. Auf der Fahrt durch den Ärmelkanal meinte es das Wetter nicht wirklich gut mit uns. Entweder zuviel Wind oder zu wenig, und meist auf die Nase. Die wenigen schönen Segeltage im englischen Kanal können wir leicht an einer Hand abzählen. Wir waren froh,  das anspruchsvolle Tidenrevier, mit den stark frequentierten Häfen und Fährrouten, den vielen Fischerbooten und der teilweisen heftigen Strömung hinter uns gebracht zu haben, als wir Nahe Brest auf ein Wetterfenster für die Biskayaüberquerung warteten. Fast zwei Wochen beobachteten wir Wind-und Wettervorhersagen um den richtigen Zeitpunkt für unseren bislang größte Schlag abzupassen. Nach einer zwar etwas ruppigen, dafür sehr schnellen Überfahrt merkten wir, wie in A Coruña die Anspannung, die uns bis dahin begleitete, abfiel. Galizien war und ist für uns ein unerwartet reizvolles Segelrevier. Geschützte Rias mit vielen tollen Ankerplätzen, freundliche, unkomplizierte Menschen, sagenhaftes Essen. Wäre es nicht irgenwann kalt geworden, wir wären vielleicht immer noch dort😉.

so kommen wir am Ankerplatz von Bord

Hier irgendwo zwischen Navajas (Schwertmuscheln) und Albariño entdeckten wir das Fahrtensegeln, so wie wir es uns – wenn auch nicht in allen Details – vorgestellt haben. Es ist das erste Mal, dass wir Zeit im Überfluss haben und genießen diesen Zustand. Keinen Wecker morgens – außer vor langen Tagestörns – keine Termine – außer wenn man sich mit anderen Crews verabredet – keiner, der einem sagt was man zu tun hat. Wir können bleiben wo es uns gefällt, bis wir das Gefühl haben weitersegeln zu müssen, oder uns das Wetter weiter treibt.

bleiben und genießen…

Letzteres drängte uns immer weiter die Küste entlang nach Süden, wo wir schließlich von Cascais aus den Absprung zu der Madeira vorgelagerten Insel Porto Santo schafften. Auch dies wieder eine etwas anstrengende Überfahrt mit ordentlichen Wellen von hinten, dafür hatten wir keine Sorge dass uns der Wind ausgehen könnte…

Delphine – immer schön wenn sie ums Boot schwimmen

Auf Porto Santo scheinen die Uhren etwas langsamer zu ticken. Sowohl die Größe der Insel als auch die Einwohnerzahl ist übersichtlich und im Hafen waren ab Dezember nur noch eine Handvoll ausländische Yachten. Wir verbrachten dort den Jahreswechsel und das mit einem Feuerwerkspektakel das wir nicht so schnell vergessen werden, wurde es doch direkt vom Aussichtspunkt oberhalb des Hafen gezündet – also quasi nur für uns 😀😀

Start ins neue Jahr

Nun sind wir schon seit ein paar Monaten in Las Palmas auf Gran Canaria. Auch wenn wir uns das Wetter etwas besser erwartet hatten (alle sagen dass es dieses Jahr viel kälter ist), gefällt es uns sehr gut hier. Auf den ersten Blick eine graue Stadt mit zu vielen Hochhäusern, sehen wir nun ihren spröden Charme, nette Plätze versteckt um die Ecke, herzliche Menschen, ungeschönte Fasasden aber ehrliches Leben.

Auch auf dem Boot ist nicht alles nur wunderbar. Wir leben auf vielleicht 25qm zu zweit. Bei all dem Werkzeug, Ersatzteile, Segelliteratur und Karten, Küchenutensilien und Vorräte, den vielen anderen Dingen die notwendig sind, bleibt nicht viel Platz für persönliche Gadgets. Das war auch von vornherein klar und ist kein Problem – auf unseren Motorradreisen hatten wir wesentlich weniger Spielraum.

Für alltäglichen Dinge müssen wir viel mehr Zeit aufbringen alsfrüher zuhause. Wäsche waschen ist so ein Beispiel. Nicht immer haben wir das Glück, dass wir in der Marina kostenlos waschen können (wie in Porto Santo). Meist nehmen wir unseren Wäscheberg mit zum Waschsalon, auch gern mal mit Fahrrad oder Bus und freuen uns wenn dort professionelle Maschinen zur Verfügung stehen. Dabei muss pro Maschine schon zwischen 5 und 8 Euro gerechnet werden, der Trockner schluckt auch nochmal um die 4 Euro. Dafür braucht die Wäsche meist nur eine gute Stunde. So sind wir hin und zurück oft über zwei Stunden unterwegs. Einkaufen ist meist auch zeitaufwändiger, da alles mit dem Fahrrad oder zu Fuß zum Boot geschleppt werden muss. Bisher hatten wir nur hier die Möglichkeit, die Einkäufe geliefert zu bekommen. Dann gibt es die tägliches Arbeiten auf dem Boot: Geschirr spülen, putzen und polieren….

Bei größeren Projekten – im Augenblick sind wir gerade dabei eine zusätzliche Batterie vorne zu unserem Bugstrahlruder einzubauen – ist es oft schwierig erst mal herauszubekommen, wo man Material bekommt. Die Bootchandler hier vor dem Hafen sind ganz ordentlich bestückt, teilweise aber recht teuer. Doch auf der Suche nach passendem Sperrholz(-zuschnitt) waren wir locker einen halben Tag unterwegs. Nicht selten sind wir tagelang in der Stadt unterwegs, wenn wir spezielle Teile suchen…

Ferreteria

Dennoch bereuen wir unseren Entschluß aufs Boot zu ziehen keinen Augenblick. Wir fühlen uns uns wohl in unserem schwimmenden Heim. Wir genießen es „Zeitmillionäre“ zu sein, verschieben lästige Arbeiten auch gerne mal auf morgen. Dabei haben wir erst kürzlich gelernt dass „mañana“ – nicht „morgen“ – bedeutet, „nicht heute“ wäre vielleicht die bessere Übersetzung 😆. Mit genügend Zeit kann man vieles gelassener angehen. Und wir freuen uns bald wieder neue Ziele anzusteuern zu können.

Von unbekannten Plätzen und ominösen Schuhdiebstählen…

Wir sind ja nun eine ganze Weile in Las Palmas und haben auch das Gefühl uns schon ganz gut auszukennen. Doch dann, beim schlendern durch die Straßen, sind wir immer wieder erstaunt welche Plätze und Ecken wir noch nicht entdeckt haben. Oft nur einen Steinwurf von bekanntem Terrain entfernt. So begeben wir immer wieder gern auf „Entdeckungsreise“. Dazu sind auch die Stadtbusse – hier liebevoll Guagua genannt – ein geeignetes Fortbewegungsmittel, denn es ist erstaunlich welche abgelegenen Viertel angebunden sind. Hinauf ins Unigelände ist z. B. solch ein schöner Abstecher. Mit schönem Blick ins Tal und auf die nördlichen Stadtteile von Las Palmas. Und während in Deutschland die Kirschbäume blühen, weht hier in Form von zartvioletten Jacarandablüten ein Hauch von Exotic durch die Straßen.

Bei uns am Steg haben derweil mehrere Boote mit Kinder angelegt. Mit Keschern oder Eimern bewaffnet rennen sie nun den ganzen Tag auf dem Schwimmsteg auf und ab. Sprachbarrieren gibt es nicht, die Verständigung scheint irgenwie immer zu klappen. Ganz schön viel Trubel im Vergleich zu den vorigen Wochen. Auch wir haben mittlerweile Anschluss gefunden und treffen uns gern mit anderen Seglern auf ein Glas Wein. In Las Palmas trifft sich alles. Von den nur kurz Durchreisenden, über Weltumsegler, die hier Station machen oder hier ihren Lebensabend verbringen möchten bis zu Seglern die einfach hier aufs Boot gezogen sind, aber trotzdem über Internet noch weiterarbeiten. Eine bunte Mischung aus Lebenseinstellungen und Nationen.

Echt ärgerlich ist das Verschwinden diverser Flipflop von unserem Steg. Da auf den Kanaren auch Kakerlaken (meist sieht man nur tote auf der Straße) mit zum Stadtbild gehören und wir einen Horror haben uns diese Viecher aufs Boot zu holen, gewöhnten wir uns an, unsere Schuhe auf dem Steg zu lassen und barfuß an Bord zu gehen. Schuhe dürfen nur in geschrubbtem Zustand mit aufs Boot genommen werden. Das ging – auch bei unseren Gästen – wochenlang gut. Bis vorletzte Woche, als plötzlich ein Flipflop verschwunden war. Im ersten Moment dachten wir, dass er vielleicht durch den Wind ins Wasser gefallen war und suchten mit dem Dinghy den halben Hafen ab. Doch keine zehn Tage später fehlte wieder einer und der zweite Schuh stand nicht mehr an dem  Platz wo er zuvor abgestellt worden war. Auch ein Blick zum Nachbarboot ergibt, dass auch dort ein einzelner Flipflop auf dem Steg steht. Wir sind uns sicher, dass die Schuhe Hundeopfer geworden sind. Allerdings lässt sich das natürlich nicht beweisen und da mehrere Boote Köter an Bord haben werden wir den Schuldigen wahrscheinlich nie  ausfindig machen können (außer wir würden ihn auf frischer Tat ertappen). Jedenfalls werden wir ab jetzt abends immer unsere Schuhe in Sicherheit bringen, denn jede Woche neue Flipflops zu kaufen ist uns dann doch zu teuer!

 

Der Alltag

ist wieder eingekehrt auf der Piccolina – wenn man es denn Alltag nennen möchte. Nachdem sich der Besuch wieder halbwegs auskuriert hatte und wir zusammen wenigstens noch einen Abstecher in den Jardin Botanico unternahmen, der mit hübschen frischen Blüten aufwartete, war die Woche auch schon wieder vorbei. Schade. Die Gäste waren weg, nur die lieben Tierchen hatten wir noch ein paar Tage länger auf dem Schiff bevor wir sie mit Ibu entgültig losbekamen. Das muss beim nächsten Mal aber anders laufen !

Der Zylinderputzer in neuem frischen Rot

Nun können wir unsere Bastelarbeiten am Schiff weiterverfolgen. Die neue Bilgenpumpe muss noch fertig installiert werden, einige Näharbeiten habe ich auch auf dem Program, dazu müssen wir allerdings erst etwas Material besorgen. Mal sehen wo wir das herbekommen.

Derweil gibt sich das Wetter immernoch sehr durchwachsen. Der Besuch hatte sich einfach tagsüber in den Süden geflüchtet, doch auch dort wehte ein kalter Wind und hier im Norden ist es oft Wolkenverhangen. Seit Tagen bläst eine kräftige kalte Brise aus Nord und Strand ist nur drin bei wolkenlosem Himmel, sonst ist es zu kalt. Das hatten wir uns anders erhofft und es bestätigen uns viele, dass dies ein besonders kaltes Frühjahr sei. Laut Wetterbericht soll es ab diesem Wochende nun merklich besser werden, toi toi toi.

Ordentlich auf die Ohren

Es muss einfach mal gesagt werden: die Spanier oder vielleicht auch nur die Kanarier im Speziellen sind sehr entspannt was Geräuschkulissen betrifft. Schon im Restaurant ist der gemeine Mitteleuropäer oft erstaunt, wie lautstark sich eine Handvoll SpanierInnen unterhalten können. Ein Tisch von vielleicht vier Personen könnte man, geht man nur nach dem Geräuschpegel,  glatt für eine ganze Gesellschaft halten, sprechen doch meist alle gleichzeitig und in einer Lautstärke die auch drei Tische weiter noch klar und deutlich verstanden werden könnte, wenn man denn der Sprache mächtig wäre. OK, auf spanisch bestellen, einkaufen, nach dem Weg fragen – alles gut, aber wenn der Kanare seinen Dialekt auspackt und die Geschwindigkeit auf „ich spreche mit Meinesgleichen“ stellt, sind wir hoffnungslos verloren, da könnte genausogut auch finnisch gesprochen werden 😉. Dennoch kommen wir damit eigentlich ganz gut klar – so sind sie halt die Spanier. Was uns aber manchmal wirklich richtig auf die Nerven geht, ist die ohrenbetäubende Geräuschkulisse, die z. B. in den Läden großer Elektronikanbieter herrscht. Und man sollte nicht meinen, dass dabei überall im Laden die gleiche Musik gedudelt wird! Hat man Pech und das Regal des zum Kauf gesuchten Objekts liegt etwas ungünstig, bekommt man schon mal ein Gemisch aus drei veschiedenen Titeln auf die Ohren, wahlweise sind vielleicht auch noch Werbevideos oder zu laute Fernsehgeräte zuhören, die sich dann wunderbar in das Geräschpotpourri einfügen😩😩. Manches Mal sind wir schon fast aus diesen Läden geflüchtet, wenn wir kaum noch unser eigenes Wort verstehen konnten. Was uns dabei gänzlich fasziniert ist die Gelassenheit, mit der die Locals trotz des Lärms durch die Regale schlendern und dabei einen ganz entspannten Eindruck machen. Wie das geht ist uns absolut schleierhaft. Länger als unbedingt nötig halten WIR das jedenfalls nicht aus. Dafür freuen wir uns dann abends auf ruhige Stunden auf der Piccolina.

Semana Santa

die heilige Woche, so wird in Spanien die Karwoche genannt und hat bei der meist katholischen Bevölkerung einen noch höheren Stellenwert als Weihnachten. Gefeiert wird aber nicht mit Geschenken und auch  Deko mit Eiern oder Hasen findet man hier nicht. Es ist einfach ein christliches Fest mit vielen Prozessionen und Feiertagen. Anders als in Deutschland ist hier auch der Gründonnerstag frei, dafür der Ostermontag normaler Arbeitstag. Die Prozessionen beginnen am Palmsonntag und haben am Karfreitag ihren Höhepunkt, wenn verschiedene Christus-und Marienstatuen durch die Straßen gefahren werden.

Wir bekommen derweil wieder Besuch an Bord. In der Osterwoche kommt mein Bruder mit Familie. Leider ist das Wetter etwas durchwachsen und auch ein paar Viren haben es mit dem Flieger von Deutschland bis nach Gran Canaria geschafft. Nicht ganz optimale Voraussetzung für Urlaub, aber wir machen alle das Beste draus….