Laut Wetterbericht soll in der Nacht Westwind einsetzen. Am Ankerplatz auf Panarea briest es schon vor Mitternacht auf, so dass wir beschließen, früher loszusegeln. Doch der Wind reicht noch nicht und wir müssen erst mal einige Stunden motoren, bis wir die Segel setzen können. Am frühen Vormittag erreichen wir die Straße von Messina. Die Meerenge zwischen Sizilien und dem Festland, die das thyrrenische mit dem ionischen Meer verbindet, gleicht die unterschiedlichen Wasserstände der beiden Gewässer aus. Laut Internet beträgt die Oberflächenströmung bis zu 5 Knoten bei Springzeit und ändert alle 6 Stunden die Richtung. Allerdings sind die Strömungsverhältnisse ingesamt viel komplexer, denn sowohl auf der thyrrenischen Seite im Norden, aber noch extremer auf der ionischen Seite im Süden fällt der Meeresgrund steil ab und somit sind große Wassermassen in Bewegung. Als wir in die Straße einfahren sollte gerade die Strömung kippen – slack, auf englisch genannt – und das deckt sich mit dem was wir auf unserer Logge sehen. Die Segel haben wir schon vorher geborgen, als der Wind eingeschlafen ist und so motoren wir die paar Meilen durch die Meerenge. Aber die Geographie ist nicht nur unter Wasser, sondern auch über Wasser etwas spezieller, denn die Wasserstraße trennt hohe Bergzüge und das Wettergeschehen ist wohl mitunter mit Vorsicht zu genießen. Da entstehen Squalls, es gibt Leewalzen und Windwirbel, doch die Berge zwingen den Winden meist eine Nord-Süd-Richtung auf und durch die Enge entsteht noch ein Düseneffekt. Nachdem wir kaum Strömung hatten – mal einen Knoten gegen uns, mal ein wenig Wirbel, bekommen wir die Winddüse mehr zu spüren. Nur wenige Meilen hinter Messina können wir wieder unsere Genua ausrollen, der Wind nimmt immer weiter zu. Wir segeln unter der italienischen Festlandküste und können bei gleicher Segelstellung unseren Kurs dem Küstenverlauf anpassen. Schließlich haben wir fast 90° angeluvt, aber der Wind kommt immer noch von achtern bis er, sehr plötzlich, abnimmt und wir in der Flaute stecken. Die letzten acht Meilen zum Ankerplatz muss nochmals das eiserne Segel ran.
Schaut man sich die kalabrische Küstenlinie an, fällt auf, das es wenig bis keine geschützte Buchten gibt. Man kann hier nur ankern wenn der Wind aus dem nördlichen bzw. weiter oben aus dem nordwestlichen Quadranten kommt. Bei Schwell oder gar viel Wind aus Süd oder Ost ist Ankern praktisch kaum möglich. Wir liegen vor Bova Marina. Der Zusatz Marina bedeutet hier nur, dass der Ort zu Bova gehört, welches mehrere Kilometer im Landesinneren liegt. Außer ein paar Fischerbooten an einer Muring oder an Land gibt es keinerlei Infrastruktur für Schiffe. Der Ort ist nicht sehr hübsch. Ein verschlafenes, einfaches, italienisches Dorf. Doch wir können mit dem Dinghy an Land und einkaufen, es gibt alles was wir brauchen. Am nächsten Tag segeln wir am südlichsten Ort Festlanditaliens vorbei, um das Capo Galati herum – und weil wir nun im Schmetterling so schön vorankommen – bis zum Capo Burazzo. Kaum ist der Anker unten, beruhigt sich auch der Wind und wir verbringen eine wunderbare Nacht.
Am nächsten Morgen starten wir zur Überfahrt nach Griechenland. Gut 200 Seemeilen sind es bis zu den Ionischen Inseln. Obwohl noch nicht viel Wind, brechen wir am frühen Vormittag auf. Es wird ein fantastischer Segeltag. Bei 3-4 Windstärken und praktisch keiner Welle segeln wir mit Vollzeug Hellas entgegen. Wir kommen gut voran und zum Sonnenuntergang stehen schon über 50 Seemeilen auf der Logge. Für die zweite Nachthälfte sind eventuell schon kräftigere Böen angesagt, deshalb binden wir das erste Reff ins Groß als es dunkel wird. Die Nacht bleibt recht ruhig, dennoch kommen wir weiterhin gut voran. Am Morgen nimmt dann der Wind zu, die Wellen werden steiler, wir wechseln von der großen Genau auf die kleinere Fock, etwas später verkleinern wir das Großsegel und fahren nun im zweiten Reff. Gegen Mittag reffen wir sogar noch die Fock, da der Wind auf 6-7Bft aufgebriest hat und der Windmesser mehr als 30 Knoten anzeigt. Die Wellen sind nun etwas steiler und ungemütlicher, aber sie kommen fast von querab, und Piccolina macht immer noch gut Fahrt. Das geht so bis kurz vor der Insel Kefalonia. Erst in deren Windschatten bergen wir die Segel und starten den Motor. Mittlerweile ist es Nacht. Eigentlich mögen wir es gar nicht bei Dunkelheit anzukommen, aber wir haben uns ein Ankerbucht ausgesucht, die laut Google Maps genügend Platz und einen großen Bereich mit Sand haben müsste. Kurz nach Mitternacht erreichen wir die Bucht und fahren einen großen Kreis, das Lot zeigt konstante 7,5m Tiefe und der Anker hält gut. Jetzt noch einen Anleger und wir fallen in die Koje.
Am nächsten Tag machen wir es uns gemütlich. Wir liegen sehr ruhig, vom Südostwind bekommen wir nichts mit und am Abend gehen wir mit dem Dinghy auf ein Bier in die Taverne am anderen Ende der weiten Bucht. Auch am darauffolgenden Vormittag ist bei uns noch Ententeich, während wir sehen, wie weiter nördlich Böen die Wasseroberfläche aufpeitschen. Wir denken uns nichts dabei, liegen wir doch wunderbar ruhig und vermeintlich durch die Berge gut geschützt nach Süden. Doch es kommt völlig anders. Kurz nach Mittag kommen die ersten Böen die Hänge herunter. Erst 40 Knoten, dann sehen wir die ersten 50er Böen auf dem Windmesser. Es wir zusehens ungemütlich. Unser Dinghy laschen wir sehr kurz hinten an der Badeplattform in der Hoffnung dass es so stabil schwimmt. Aber schon kurze Zeit später legt es sich auf den Rücken und unser Außenborder hängt nun unter Wasser. Ein, zweimal gelingt es uns das Dinghy wieder umzudrehen, aber es liegt einfach nicht stabil und wird von Wind und Wellen ständig umgeschmissen. Am Nachmittag nimmt der Wind plötzlich für eine halbe Stund ab – wir nutzen die Zeit und machen den Außenbordmotor an der Halterung am Heckkorb von Piccolina fest. Doch bevor wir das Dinghy auch aus dem Wasser nehmen können, kommen wieder stürmische Böen die Berge herunter. Und es wird noch schlimmer. Mittlerweile erreichen die Böen bis zu 60 Knoten, das ist schwerer Sturm. Piccolina schwojt nach links und rechts und legt sich dabei so stark auf die Seite, dass die Wasseroberfläche schon fast über den Süllrand kommt. Unglaublich. Das Dinghy fliegt halb durch die Luft und patscht unkontrolliert aufs Wasser. Der Wind heult, Gischt fliegt durch die Luft, die Scheiben im Cockpitt sind so voller Salz, dass wir kaum noch durchschauen können. Plötzlich höre ich die Ankerkette rasseln – Oh nein! Im ersten Moment denke ich dass die Leine der Ankerkralle gerissen ist und die Kettennuss lose hat. Aber weit gefehlt. Die Ankerkralle selbst – ein wirklich massives Teil – hat sich verbogen und muss von der Kette gerutscht sein, ohne dass wir es merkten. Bei einer nachfolgenden Böe rutschte wiederrum die Kette aus der Nuss. Die ganzen 80 Meter rauschten aus und wurden erst von der Leine gestoppt, die die Kette im Ankerkasten festgebunden hat und die sich jetzt um die Kettennuss gewickelt hat. Das ganze Boot hängt nun an dieser Leine. Es ist wirklich kein Spaß bei solchen Bedingungen vorne am Bug zu arbeiten, aber schließlich schaffen wir es, in dem wir das Kettenende mit mehreren Leinen sichern, dieses ganz langsam einzuholen, bis wir es wieder auf die Ankernuss legen können. Wir holen wieder etwas Kette ein, ersetzen die Ankerkralle durch einen Knoten und können die Ankerwinsch wieder entlasten. Kurz darauf macht auch der Wind wieder eine kurze Pause – so fühlt sich zumindest an, wenn es nur mit 30 Knoten bläst. Wir sitzen völlig fertig und total versalzen im Cockpit. Der Sturm nimmt nochmals fahrt auf und bläst noch fast die ganze Nacht. So hatten wir uns die Begrüßung in Griechenland nicht vorgestellt. Später erfahren wir, dass nicht weit von uns, viel weniger Wind blies. Die Berge hinter denen wir Schutz suchten, verstärkten den Wind extrem.
Nun liegen wir in einer kleinen Bucht im Süden von Lefkas. Syvota heißt der kleine Ort und hier ruhen wir uns ein paar Tage aus und bringen unser Boot wieder auf Vordermann. Wir haben ein neues Dinghy, das alte hatte sich irgendwann beim Sturm losgerissen, der Außenborder läuft wieder, auch eine Relingsstütze die ein Solarpanel hält wurde frisch eingeklebt. Wir genießen die angenehme Atmosphäre am Trocolo Pontoon, der von Ron und Viola betrieben wird, gehen abends gut essen und trinken und lernen unsere ersten griechischen Wörter von Yjanna, der Wirtin. Nur ein paar Tage später bekommen wir Besuch von ehemaligen Arbeitskollegen und verbringen sehr schöne Stunden, erzählen viel und haben eine gute Zeit. Ich glaube wir werden eine tolle Zeit in Griechenland verbringen – wenn auch die Begrüßung etwas zu stürmisch ausgefallen ist.